Ausgewählte ayurvedische Heilmittel wie Kurkuma, Ashwagandha oder Shilajit erleben bei uns seit ein paar Jahren einen regelrechten Boom. Sie werden als natürliche Wundermittel für mehr Energie, Stressresistenz, Detox, Verjüngung und Immunstärkung in Apotheken, Reformhäusern, Naturkostläden, Drogerien und vor allem online von Influencern und Celebrities angeboten.
Ihrem ursprünglichen medizinischen Kontext entfremdet werden sie zumeist auf ihre wichtigsten Wirkstoffe Curcumin, Withanolide und Fulvinsäure standardisiert und nicht entsprechend ayurvedischer Regeln gereinigt und verarbeitet. Wenn die tägliche Einnahme der Standard-Extrakte in Form von Kapseln, Tabletten, Pulvern, Tropfen oder Kombi-Präparaten dann zu schweren Nebenwirkungen führt, wandelt sich der ursprüngliche Hype schnell zur Hysterie.
Marketing & Kontextverlust
Shilajit, Ashwagandha und Kurkuma sind Paradebeispiele dafür, wie traditionelle Heilpflanzen im Zuge des Wellness- und Longevity-Trends zu globalen Lifestyle-Produkten mutieren. Sie werden in standardisierter Form mit wissenschaftlich anmutenden Claims und Influencer-Marketing als einfache Lösungen für die Herausforderungen des modernen Lebens verkauft. Der ursprüngliche Kontext geht dabei verloren – und mit ihm oft auch das Verständnis für die richtige Anwendung, mögliche Nebenwirkungen und die Grenzen der Wirkung. Heilpflanzen wirken nicht bei jedem Menschen auf die gleiche Weise, da sie mehr als nur ein Wirkstoff sind. Vor allem Extrakte mit hoher Wirkstoffkonzentration können innerhalb standardisierter Kombi- oder Einzelpräparate zu ungeahnten Wechsel- und Nebenwirkungen führen.
Nehmen wir diese Antistress-Präparate ein, die oftmals ohne Einschränkung als gesundheitsfördernd und für den täglichen Gebrauch angepriesen werden, so können aufgrund falscher Dosierung und unsachgemäßem Einsatz ungeahnten Nebenwirkungen auftreten. Ein natürlicher oder pflanzlicher Ursprung garantiert nämlich nicht automatisch einen unbedenklichen Gebrauch für alle. Man sollte nie vergessen, dass auch bekannte Medikamente wie Aspirin®, das Grippemittel Tamiflu® und das Parkinson-Präparat Reminyl® auf „natürlichen“ Wirkstoffen der Weidenrinde (Acetylsalicylsäure), des Sternanis (Shikimisäure) des Schneeglöckchens (Galantamin) beruhen.
Ashwagandha – Das Wundermittel für Gestresste
Die Wurzel der Schlafbeere (Withania somnifera) heißt auf Sanskrit Ashwagandha , gehört zur alkaloidhaltigen Familie der Nachtschattengewächse und ist eines der wichtigsten Anti-Stressmittel im Ayurveda, welches bei innerer Unruhe, Schlaflosigkeit und Erschöpfung verwendet wird. Wesentlich für die Einnahme ist die Beachtung der Konstitution, denn Ashwagandha kann bei übermäßiger Einnahme zu Hitze, Entzündung, Magenbeschwerden, Übelkeit, Durchfall, Erbrechen, Leberstörungen und Schläfrigkeit führen.
Ashwagandha hat sich in den letzten Jahren vom Geheimtipp zum Mainstream-Produkt entwickelt und wird seitdem als Wundermittel gegen Stress, Angst, Schlafprobleme, Muskelermüdung, Erschöpfung, Potenz- und Fruchtbarkeitsprobleme angepriesen. Fitnessfans schwören auf seine regenerative Muskelwirkung, Gestresste verwenden Ashwagandha als Beruhigungspille. Eine unsachgemäße Verwendung kann zu Wechselwirkungen mit Medikamenten gegen Autoimmunstörungen, Bluthochdruck, Depressionen, Diabetes und Schilddrüsenerkrankungen führen.
Kurkuma – Natürlicher Immunbooster
Die gelbe Kurkumawurzel (lat. Curcuma longa) gilt im Ayurveda als heilkräftiges Gewürz, das mit seinen erwärmenden, trockenen, leichten, bitteren, scharfen und herben Eigenschaften Kapha und Pitta senkt. Eine zu hohe Dosierung von Kurkuma erhöht auf Dauer jedoch das Vata und Pitta, was zu Magenschmerzen, trockenem Mund, Sodbrennen, Durchfall und Blähungen führt. Im Ayurveda ist Kurkuma Bestandteil traditioneller Präparate zur Blut-, Haut- und Leberreinigung. Mit seiner antioxidativen, antiantzündlichen und antidepressiven Wirkung ist Kurkuma eine der am besten erforschten Pflanzen des Ayurveda.
Es verwundert daher nicht, dass Kurkuma im Westen als vielseitiges Superfood und Immun-Booster vermarktet wird. Die Werbung betont hier vor allem die positiven Effekte auf Immunsystem, Leber, Psyche und Verdauungssystem. Kurkumapräparate mit einem standardisierten Curcumin-Gehalt und Anreicherung mit Piperin (aus dem schwarzen oder langen Pfeffer) sollen optimale Wirkung und bessere Bioverfügbarkeit garantieren. Gerade diese starke Wirksamkeit führt bei unsachgemäßer Einnahme zu Eisenmangel, erhöhtem Blutungsrisiko (bei Einnahme von Blutverdünnern), Gallenstörungen, Östrogendysbalancen, zu dokumentierten Fällen akuter Leberschädigung und Wechselwirkungen mit Medikamenten.
Shilajit – Das Superfood für Detox & Longevity
Shilajit oder Mumijo ist eine mineralische teerartige Substanz aus dem Himalaya mit ca. 90 verschiedenen Wirkstoffen. Sie gilt seit Jahrhunderten als ein kraftvolles Stärkungs- und Verjüngungsmittel der tibetischen und ayurvedischen Heilkunde bei Schwäche, Erschöpfung, männlichen Potenzproblemen und geschwächtem Immunsystem. Es ist eine aufwändige Reinigungs- und Herstellungsprozedur erforderlich, um Shilajit zu entgiften, denn unsachgemäß gereinigtes Shilajit kann zu einer Schwermetallbelastung führen. Im Ayurveda wird es selten pur, sondern vielmehr in Kombination mit balancierenden Kräutern verschrieben. Von einer gleichzeitigen Einnahme entgiftender oder harntreibender Mittel ist abzuraten.
Shilajit wird derzeit im Westen als Adaptogen in Form von hochdosierten Extrakten in Kapsel- oder Pulverform vermarktet, das Stressresilienz, Vitalität und Wohlbefinden steigern soll. Nachhaltigkeit, Reinheit und ethische Gewinnung werden in der Werbung ebenso betont wie die einfache Dosierung und lange Haltbarkeit. Dabei kann eine unsachgemäße und unkontrollierte Einnahme hochdosierter Shilajit-Präparate mit erhöhten Mengen an Fulvinsäure zu allergischen Reaktionen, Elektrolytstörungen, Schwermetallmobilisierung, Nierenschäden sowie Magen-Darm-Beschwerden führen. Auch der sehr hohe Eisengehalt, die blutzuckersenkende und testosteronerhöhende Wirkung kann für manche Menschen mit bestimmten Erkrankungen gefährlich sein.
Fazit
Die Vermarktung ayurvedischer Präparate folgt einem klaren Muster: Traditionelle Heilpflanzen werden aus ihrem kulturellen und medizinischen Kontext gelöst und als universelle Gesundheitsbooster mit wissenschaftlich klingenden Versprechen, hochwertigen Verpackungen und Lifestyle-Bildern beworben. Die jahrtausendealte Tradition des Ayurveda gilt hier als Qualitätsmerkmal, ohne aber die komplexen Ideen dahinter zu vermitteln. Wunderpillen werden mit Begriffen wie Anti-Stress-, Adaptogen-, Energie-Komplex, Ayurveda-Komplex oder Immun-Boost vermarktet. Zeigen sie dann Nebenwirkungen bricht ein mediales Gewitter der Hysterie aus.
In der traditionellen Ayurvedaheilkunde gibt es ebenfalls Einzel- und Kombipräparate mit klassischen Sanskritbegriffen, deren komplexe Herstellung und differenzierter Einsatz innerhalb eines Ayurveda-Pharmakologie- und -Medizinstudiums über viele Jahre erlernt wird. Sie sind Teil einer multimodalen Therapie aus Ernährungsmedizin, Reinigungskuren, manuellen Anwendungen, Yoga und individueller Lebensführung. Wer ayurvedische Präparate nutzen möchte, sollte sich kritisch informieren und auf Qualität, Dosierung und individuelle Verträglichkeit achten. Sinnvoll ist vor allem eine ayurvedische Beratung bei medizinischen ExpertInnen, die Heilpflanzen differenziert innerhalb eines individuellen Therapieplans einsetzen. Eine Auswahl an gut ausgebildeten HeilpraktikerInnen und ÄrztInnen findest Du bei Ayurveda-Berufsverbänden wie beispielsweise der DGA oder DÄGAM.
Links
Stellungnahme der DÄGAM zu Ashwagandha: https://www.daegam.de/.cm4all/uproc.php/0/Dokumente/DA%CC%88GAM_Stellungnahme_Ashwagandha.pdf
Warnung vor Ashwagandha im Ärzteblatt: https://www.aerzteblatt.de/news/bundesinstitut-warnt-vor-schlafbeerenpraeparaten-a1b94183-6499-48bb-a0ef-bfbf490252fb
Nebenwirkungen von Ashwagandha: Case report: https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC10002162
Wirkungen von Kurkuma – Wissenschaftliche Überblicksarbeit: https://www.uniklinik-freiburg.de/fileadmin/mediapool/08_institute/rechtsmedizin/pdf/Addenda/2016/Kurkuma_-_Wissenschaftliche_Zusammenfassung_2015.pdf
Nebenwirkung von Kurkuma in The American Journal of Medicine: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/36252717/
Wirkungen von Shilajit - Blogartikel: https://www.news-medical.net/health/Shilajit-Health-Benefits-Risks-and-Clinical-Evidence.aspx
Nebenwirkungen von Shilajit in The Guardian: https://www.theguardian.com/commentisfree/2025/apr/16/shilajit-male-influencers-claim-it-boosts-testosterone-and-libido-but-what-does-the-science-say